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48 Jahre als Missionar in Madagaskar

Fast 50 Jahre lang lebte und arbeitete P. Roman Bühlmann in Madagaskar und leitete während zweier Perioden die Provinz. In einem Gespräch erzählt er von der Entwicklungsarbeit wie auch von kulturellen Unterschieden. Die Fragen stellte P. Roman Zwick, Präsident von miray.


Was waren die grössten Schwierigkeiten, nachdem du in Madagaskar angekommen bist?

Das schwierigste war die Sprache und die Kultur, die wir lernen mussten, um mit den Menschen in Kontakt treten und mit ihnen leben zu können. Beides haben wir von den Jesuiten gelernt.

Seid ihr nach dem Unterricht gut zurechtgekommen, als ihr die Seelsorge begonnen habt?

Wir mussten noch viel lernen, als wir in den Busch hinausgegangen sind. Wir haben aber profitiert von den Begegnungen mit den Menschen.

P. Roman Bühlmann (hinten rechts) 1993 als Provinzial zusammen mit Scholastikern in Tana.

Was waren eure ersten Aufgaben, was stand im Vordergrund des Einsatzes?

Im Vordergrund stand die Mission. Ich stand als Vikar an der Seite von P. Toni Stadelmann in Tanandava im Einsatz, einem neuen Dorf, das für die Arbeiter errichtet worden ist, die für das Unternehmen Samangoky gearbeitet haben. Samangoky war ein von Europa finanziertes Unternehmen, das 100’000 ha Wald rodete, um es für Plantagen bereitzumachen.
[Ergänzung der Redaktion: Ursprünglich waren Baumwollplantagen geplant, für deren Bewässerung sogar ein 30 km langer Kanal gegraben und in Ambahikily eine Baumwollentkernfabrik gebaut wurde. Das gesamte Projekt wurde aber ab Mitte der 1970er-Jahre vom sozialistischen Präsidenten nicht mehr weiterverfolgt. Heute werden nur gerade 50 ha des gerodeten Gebietes für Reisplantagen verwendet.]

Gab es im Verlaufe der Jahre Veränderungen bezüglich der Zielsetzungen der Missionare?

Ursprünglich war geplant, dass Madagassen, die Priester werden wollten, ihre Ausbildung bei den Jesuiten erhalten sollten. Aber nachdem einige Madagassen bei den MSF eintreten wollten, haben wir selber ein Noviziat und Scholastikat aufgebaut, um die Ausbildung zum Priester anbieten zu können.

Das heisst, der Schwerpunkt der Arbeit lag nun eher bei der Einrichtung einer neuen Provinz und bei der Ausbildung der jungen Madagassen?

Genau.

Aber die MSF haben immer auch Entwicklungshilfe betrieben. Hast du ein paar Beispiele, welche Projekte du selber verwirklicht hast?

Nach einem grossen Sturm waren zwei Dörfer bei Befandriana überschwemmt. Mit Geldern der Caritas Madagaskar haben wir dann mitgeholfen, die Dörfer auf einem höheren Niveau und weiter vom Fluss entfernt wieder aufzubauen. Es war eine Bedingung, dass die Bewohner selber Holz geschlagen haben für die Bauten. Im einen Dorf klappte das gut, im anderen Dorf allerdings nicht. Dort wollte der Dorfchef nicht, dass die Bewohner bessere Häuser erhielten als er selber.

Eine schwierige Frage: Wie müsste eine Entwicklungshilfe nach deinen Erfahrungen heute aussehen?

Das ist in der Tat nicht leicht zu beantworten. Eine Schwierigkeit in Madagaskar ist, dass die Menschen nicht in Sicherheit leben können. Die Regierung hat zu wenig Kraft, um den Räuberbanden Einhalt gebieten zu können. So müssen die Menschen, die ja ohnehin schon Mühe haben, etwas zu erreichen und Landwirtschaft betreiben zu können, auch noch um ihr Leben fürchten.

Die Kultur in Madagaskar und in Europa ist sehr unterschiedlich. Hast du madagassische Kultur für dich verinnerlicht?

Ja, ich habe sicher einiges mitgenommen, z.B. Handgesten oder auch dass man sich vor anderen „klein macht“.

Welcher Aspekt hat dir am meisten Mühe bereitet hineinzuwachsen?

Totenfeiern waren schwierig für mich. Das ganze Dorf war mit dabei und hielt Wache und es wurde jeweils viel Alkohol getrunken. Es wurden auch viele Ochsen geschlachtet und zwar so viele, dass die Familien danach sogar Mühe hatten zu überleben.

Fiel die Anpassung an die Schweizer Lebensart nach der Rückkehr 2011 leicht?

Man war ja auch zwischendurch mal auf Urlaub in der Schweiz. Trotzdem habe ich gestaunt über den Fortschritt in der Schweiz gerade im Vergleich zu Madagaskar.

Wie bist du denn umgegangen z.B. mit Handy, Billett-Automaten an den Bahnhöfen oder Computern?

Ich hatte bereits in Madagaskar ein Handy und wurde auch ein wenig eingeführt in die Computertechnologie und profitiere natürlich auch jetzt noch davon. Aber wenn ich in der Schweiz unterwegs bin, staune ich darüber, was gebaut wurde an Strassen, Tunnels und Brücken. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu Madagaskar. In der Schweiz führt noch zum letzten Hof ein Strässchen und sobald man in Madagaskar etwas abseits ist, gibt es keine Strassen mehr.

Gibt es Momente in deinem Leben, wenn du Heimweh nach Madagaskar hast oder wenn du etwas vermisst?

Ich hatte nicht besonders Heimweh. Aber natürlich sind mir viele Menschen ans Herz gewachsen und ich würde natürlich gerne wissen, was aus ihnen geworden ist. Der Kontakt zu Madagaskar ist ja nicht gerade leicht. Aber damit muss man leben.

In der christlichen Atmosphäre von Madagaskar sind die feierlichen, grossen Gottesdienste sehr bekannt. In der Schweiz sind die Bänke in den Kirchen oft leer. Wie nimmst du das wahr?

Ich habe immer gerne gesungen und das hat mir in Madagaskar gefallen. In der Schweiz wird viel weniger gesungen und über den Rückgang des Besuchs staune ich natürlich schon. In Madagaskar wurde man mit den vollen Kirchen verwöhnt.

Gesang spielt auch heute noch in den Gottesdiensten in Madagaskar eine wichtige Rolle, wie das Beispiel aus dem Ostergottesdienst 2011 in Anjoma zeigt.

Bedeutete der Umzug von Werthenstein nach Nuolen eine grosse Veränderung?

In Nuolen sind wir „die Werthensteiner“ mit unseren Missionsproblemen und viel engeren Kontakten mit der Mission. In den 48 Jahren in der Madagaskarmission blieben mir viele technischen Neuerungen fremd, währenddem die anderen in diese Neuerungen hineingewachsen sind und ich mich manchmal etwas verloren finde. Das unterscheidet uns sicher von unseren Mitbrüdern, die im Schulbetrieb in Nuolen alt geworden sind.