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47 Jahre als Missionar in Madagaskar

Georges Zehnder wirkt seit 47 Jahren als Missionar der Heiligen Familie in Madagaskar. Nach einem Heimaturlaub Ende 2017 und Anfang 2018 verfasste er folgenden Text und hielt darin Gedanken zu Entwicklungen in Madagaskar und innerhalb der Kongregation fest. Und er beklagt eines der grössten Übel Madagaskars: Korruption.

 

P. Georges Zehnder bei einer Sonntagsmesse in Ankazoabo.

 

Madagaskar, die grosse Insel im Indischen Ozean, Fläche: 580″000 km2, grösser als Deutschland, hat sich vor 150 Millionen Jahren vom afrikanischen Kontinent getrennt, Madagaskar ist die viertgrösste Insel der Welt. Von den über 10’000 verschiedenen Blütenpflanzen und den über 100 Säugetierarten sind jeweils 80 Prozent endemisch. Mit dem starken Wachstum der Bevölkerung, der Viehhaltung, dem Raubabbau der Tropenhölzer und der unkontrollierten Brandrodung verschwinden viele Tierarten.

Bevölkerungswachstum und Armut

1970 betrug die Bevölkerung 6 Millionen, 18 Millionen waren es um 2008 und heute 2017 schätzt man die Zahl der Bewohner auf 23 Millionen. Diese starke Bevölkerungszunahme ist eines der Hauptprobleme von Madagaskar. Auf 100’000 Personen gibt es schätzungsweise 15 Ärzte, kaum 50 Prozent der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, fast jedes Jahr gibt es zu Beginn der Regenzeit Pestfälle, dieses Jahr besonders in der Hauptstadt Antananarivo. Noch mehr verbreitet ist die Lepra.

Madagaskar ist eines der ärmsten Länder der Welt, von 10 Madagassen leben 8 mit weniger als 2.- Schweizer Franken pro Tag. Die Ahnenverehrung ist weit verbreitet und bleibt auch im Christentum noch sehr lebendig. Ungefähr 45% der Bevölkerung sind Animisten (Naturreligion), 50% sind Christen, davon ungefähr die Hälfte Katholiken, die Hälfte Protestanten, es gibt auch viele Sekten, etwa 4 % sind Muslime.

Die Diözese Morombé liegt im trockenen Südwesten Madagaskar, in der Provinz Toliara.

Die Kirche Morombé wurde madagassisch

47 Jahre bin ich in Madagaskar, hie und da werde ich gefragt: Was ist das Resultat deiner Arbeit? Über persönliche Niederlagen und Erfolge, es gibt ja in jedem Leben beides, möchte ich mich nicht ausführlich äußern, jedenfalls sind die positiven Eindrücke stärker, sonst wäre ich im Januar 2018 nicht mehr zurückgekehrt.

Es gibt 22 Diözesen in Madagaskar, die Diözese Morombe befindet sich im regenarmen, nicht sehr fruchtbaren Südwesten der Insel. Als ich 1970 in Morombe ankam waren wir 20 Priester, wir alle waren Schweizer von der Kongregation «Hl. Familie» (MSF – Werthenstein). Heute wirken in der Diözese 32 Priester, davon sind 8 MSF-Priester (2 Schweizer, 2 Polen, 4 Madagassen) und 23 madagassische Diözesanpriester, diese stammen alle aus der Gegend von Morombe. Die Kirche Morombé ist also madagassisch geworden, gut integriert, ein erfreuliches Resultat.

Die meisten Priester der Diözese Morombé sind inzwischen Madagassen (Bild von 2017).

Schlechte Regenzeit führt zu Schulschliessungen

Die acht großen Schulen der Hauptstationen (total 9000 Schüler) sind selbsttragend, mit dem Schulgeld können die Lehrerlöhne bezahlt werden, aber nicht die Kosten für Schulmaterial oder Neubau. Insbesondere die kleineren Schulen auf dem Land in Buschdörfern sind noch auf Hilfe angewiesen, viele von diesen mussten in der letzten zeit geschlossen werden. Es gibt verschiedene Gründe dafür: Die Regenzeit 2016/17 war sehr schlecht, zu wenig Regen, schlechte Ernte, viele Familien können daher das Schulgeld für den Lehrerlohn nicht mehr bezahlen. Mit Hilfe vieler Wohltäter kann ich für 150 Kinder das Schulgeld übernehmen aber mehr ist nicht mehr möglich.

Korruption und Ochsendiebstahl

Leider haben Raubüberfalle im letzten Jahr stark zugenommen, einige Dörfer wurden aufgegeben, die Bewohner zogen in andere Ortschaften. In der Pfarrei Ankazoabo überleben nur vier von den 14 Schulen in den Broussedörfern.

Ein sehr großes Problem ist die Korruption. Dorfvorsteher, Volksvertreter, Polizei, Minister, alle sind darin verwickelt, es ist aussichtslos, dieses verheerende Übel zu überwinden wenn nicht ein ‘sauberer’ Präsident an der Staatsspitze steht.

Ochsenraub ist eine Landplage, früher war dies eine Art Sport, eine Mutprobe für junge Burschen, aber die gestohlenen Ochsen blieben in der Gegend und wurden oft wieder zurückgestohlen, jetzt aber werden die Tiere von Händlern eingekauft und nach der Insel La Reunion oder Mauritius verfrachtet. Dies wäre ein unmögliches Unternehmen, wenn nicht hohe Funktionäre dahinter stünden und die Diebe schützten.

Ochsen sind in Madagaskar unabdingbar – nicht nur für den Transport, sondern vor allem auch für das Pflügen der Reisefelder. Werden die Ochsen gestohlen, können die Felder nicht mehr bearbeitet werden. Unter anderem deshalb unterstützte „miray“ den Kauf einer vielseitig einsetzbaren Kubota.

Die Kirche hat ein großes moralischen Ansehen, die Briefe der Bischöfe , besonders jener vom Monat Mai 2017, war lange Zeit ein großes Thema in den Zeitungen und bei allen Radiostationen. Darin wurde die Korruption auf allen Ebenen bis in die Ministerbüros angeprangert. Spektakuläres kann nicht erreicht werden aber sie regt zu Besinnung an.

Moringabäume zur Stärkung

Ich habe mein Amt als Pfarrer abgegeben und einem jungen Madagassen-Priester übergeben. Ich bin noch, mitarbeitender Priester (wie man in der Schweiz sagen würde). Ich besuche die Aussenstationen in der näheren Umgebung, das sind 4 Buschschulen und 7 Kirchen und überwache ‘meine’ Moringabäume. Wir haben 300 Moringabäume gepflanzt, ein Baum, der sehr reich an Calcium und Vitaminen ist und dessen getrocknete Blätter ein sehr gutes Stärkungsmittel vor allem für unterernährte Kinder sind.

So werden Spenden von P. Georges eingesetzt

Unterstützung, die ich erhalte, wird folgendermassen eingesetzt: 1) Kindern den Schulbesuch ermöglichen, 2) 5 jungen Leuten weiterhelfen, damit sie ihre Lehre als Krankenpfleger beenden können. 3) Wir wollen für unsere schulentlassenen jungen Leute Kurse organisieren bezüglich: Verantwortung für die Dorfgemeinschaft und Umwelt und neue Anbaumethoden, es gibt Hilfswerke die solche Kurse anbieten, 4) nach Möglichkeit besorgen wir Kranken Medikamente oder bringen sie ins Spital nach Toliara.

Viele Grüsse: P. Georges Zehnder

Der Vorstand von „miray“ traf sich im Dezember 2017 mit P. Georges Zehnder, der sich auf einem Heimaturlaub befand.

 

48 Jahre als Missionar in Madagaskar

Fast 50 Jahre lang lebte und arbeitete P. Roman Bühlmann in Madagaskar und leitete während zweier Perioden die Provinz. In einem Gespräch erzählt er von der Entwicklungsarbeit wie auch von kulturellen Unterschieden. Die Fragen stellte P. Roman Zwick, Präsident von miray.


Was waren die grössten Schwierigkeiten, nachdem du in Madagaskar angekommen bist?

Das schwierigste war die Sprache und die Kultur, die wir lernen mussten, um mit den Menschen in Kontakt treten und mit ihnen leben zu können. Beides haben wir von den Jesuiten gelernt.

Seid ihr nach dem Unterricht gut zurechtgekommen, als ihr die Seelsorge begonnen habt?

Wir mussten noch viel lernen, als wir in den Busch hinausgegangen sind. Wir haben aber profitiert von den Begegnungen mit den Menschen.

P. Roman Bühlmann (hinten rechts) 1993 als Provinzial zusammen mit Scholastikern in Tana.

Was waren eure ersten Aufgaben, was stand im Vordergrund des Einsatzes?

Im Vordergrund stand die Mission. Ich stand als Vikar an der Seite von P. Toni Stadelmann in Tanandava im Einsatz, einem neuen Dorf, das für die Arbeiter errichtet worden ist, die für das Unternehmen Samangoky gearbeitet haben. Samangoky war ein von Europa finanziertes Unternehmen, das 100’000 ha Wald rodete, um es für Plantagen bereitzumachen.
[Ergänzung der Redaktion: Ursprünglich waren Baumwollplantagen geplant, für deren Bewässerung sogar ein 30 km langer Kanal gegraben und in Ambahikily eine Baumwollentkernfabrik gebaut wurde. Das gesamte Projekt wurde aber ab Mitte der 1970er-Jahre vom sozialistischen Präsidenten nicht mehr weiterverfolgt. Heute werden nur gerade 50 ha des gerodeten Gebietes für Reisplantagen verwendet.]

Gab es im Verlaufe der Jahre Veränderungen bezüglich der Zielsetzungen der Missionare?

Ursprünglich war geplant, dass Madagassen, die Priester werden wollten, ihre Ausbildung bei den Jesuiten erhalten sollten. Aber nachdem einige Madagassen bei den MSF eintreten wollten, haben wir selber ein Noviziat und Scholastikat aufgebaut, um die Ausbildung zum Priester anbieten zu können.

Das heisst, der Schwerpunkt der Arbeit lag nun eher bei der Einrichtung einer neuen Provinz und bei der Ausbildung der jungen Madagassen?

Genau.

Aber die MSF haben immer auch Entwicklungshilfe betrieben. Hast du ein paar Beispiele, welche Projekte du selber verwirklicht hast?

Nach einem grossen Sturm waren zwei Dörfer bei Befandriana überschwemmt. Mit Geldern der Caritas Madagaskar haben wir dann mitgeholfen, die Dörfer auf einem höheren Niveau und weiter vom Fluss entfernt wieder aufzubauen. Es war eine Bedingung, dass die Bewohner selber Holz geschlagen haben für die Bauten. Im einen Dorf klappte das gut, im anderen Dorf allerdings nicht. Dort wollte der Dorfchef nicht, dass die Bewohner bessere Häuser erhielten als er selber.

Eine schwierige Frage: Wie müsste eine Entwicklungshilfe nach deinen Erfahrungen heute aussehen?

Das ist in der Tat nicht leicht zu beantworten. Eine Schwierigkeit in Madagaskar ist, dass die Menschen nicht in Sicherheit leben können. Die Regierung hat zu wenig Kraft, um den Räuberbanden Einhalt gebieten zu können. So müssen die Menschen, die ja ohnehin schon Mühe haben, etwas zu erreichen und Landwirtschaft betreiben zu können, auch noch um ihr Leben fürchten.

Die Kultur in Madagaskar und in Europa ist sehr unterschiedlich. Hast du madagassische Kultur für dich verinnerlicht?

Ja, ich habe sicher einiges mitgenommen, z.B. Handgesten oder auch dass man sich vor anderen „klein macht“.

Welcher Aspekt hat dir am meisten Mühe bereitet hineinzuwachsen?

Totenfeiern waren schwierig für mich. Das ganze Dorf war mit dabei und hielt Wache und es wurde jeweils viel Alkohol getrunken. Es wurden auch viele Ochsen geschlachtet und zwar so viele, dass die Familien danach sogar Mühe hatten zu überleben.

Fiel die Anpassung an die Schweizer Lebensart nach der Rückkehr 2011 leicht?

Man war ja auch zwischendurch mal auf Urlaub in der Schweiz. Trotzdem habe ich gestaunt über den Fortschritt in der Schweiz gerade im Vergleich zu Madagaskar.

Wie bist du denn umgegangen z.B. mit Handy, Billett-Automaten an den Bahnhöfen oder Computern?

Ich hatte bereits in Madagaskar ein Handy und wurde auch ein wenig eingeführt in die Computertechnologie und profitiere natürlich auch jetzt noch davon. Aber wenn ich in der Schweiz unterwegs bin, staune ich darüber, was gebaut wurde an Strassen, Tunnels und Brücken. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu Madagaskar. In der Schweiz führt noch zum letzten Hof ein Strässchen und sobald man in Madagaskar etwas abseits ist, gibt es keine Strassen mehr.

Gibt es Momente in deinem Leben, wenn du Heimweh nach Madagaskar hast oder wenn du etwas vermisst?

Ich hatte nicht besonders Heimweh. Aber natürlich sind mir viele Menschen ans Herz gewachsen und ich würde natürlich gerne wissen, was aus ihnen geworden ist. Der Kontakt zu Madagaskar ist ja nicht gerade leicht. Aber damit muss man leben.

In der christlichen Atmosphäre von Madagaskar sind die feierlichen, grossen Gottesdienste sehr bekannt. In der Schweiz sind die Bänke in den Kirchen oft leer. Wie nimmst du das wahr?

Ich habe immer gerne gesungen und das hat mir in Madagaskar gefallen. In der Schweiz wird viel weniger gesungen und über den Rückgang des Besuchs staune ich natürlich schon. In Madagaskar wurde man mit den vollen Kirchen verwöhnt.

Gesang spielt auch heute noch in den Gottesdiensten in Madagaskar eine wichtige Rolle, wie das Beispiel aus dem Ostergottesdienst 2011 in Anjoma zeigt.

Bedeutete der Umzug von Werthenstein nach Nuolen eine grosse Veränderung?

In Nuolen sind wir „die Werthensteiner“ mit unseren Missionsproblemen und viel engeren Kontakten mit der Mission. In den 48 Jahren in der Madagaskarmission blieben mir viele technischen Neuerungen fremd, währenddem die anderen in diese Neuerungen hineingewachsen sind und ich mich manchmal etwas verloren finde. Das unterscheidet uns sicher von unseren Mitbrüdern, die im Schulbetrieb in Nuolen alt geworden sind.